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Titel
„Praktičeskij Rabotnik“ Georgij Malenkov [Der „praktische Arbeiter“ Georgij Malenkov].


Autor(en)
Sorokin, Andrej
Erschienen
Moskau 2021: Rosspen
Anzahl Seiten
735 S.
Preis
2.000,00 Rub
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nikolay Mitrokhin, Forschungsstelle Osteuropa, Universität Bremen

Der russische Historiker, Verleger und Direktor des russischen Staatsarchivs für soziale und politische Geschichte (RGASPI), Andrej Sorokin, legt eine 735-seitige Monographie über Georgij Malenkov vor, einen der engsten Gefolgsmänner Stalins und den sowjetischen Ministerpräsidenten der Jahre 1953 bis 1955. Anfang der 1950er-Jahre stand er dem Diktator so nahe, dass er nach dessen Tod sein Haupterbe werden sollte – die erste Person in Partei und Staat. Als willensschwacher Mensch, ein mächtiger Vollstrecker der Entscheidungen anderer, verlor er die Macht jedoch in nur zwei Jahren an den selbstbewussten und energischen Nikita Chruščev. Ohne seinen schwachen Charakter und seine immer wieder großen politischen Fehler, mit denen er Chruščev die Macht buchstäblich übertrug, wäre es möglich gewesen, dass Malenkov, der erst 1988 starb, die UdSSR Jahrzehnte regiert hätte. Damit hätte er seine nach sowjetischen Maßstäben völlig liberalen Reformen, die er nach Stalins Tod deutlich erklärt hatte, vollständig umsetzen können. Nur einen Teil davon konnte er zwischen 1953 und 1954 realisieren, als er wirklich Einfluss hatte.

In seinem Buch konzentriert sich der Autor auf zwei Hauptpunkte: das politische Schicksal Malenkovs als hochrangiger Apparatschik sowie seine tägliche Arbeit, sei es die Organisation von Massenrepressionen, die Kontrolle über das Staatliche Planungskomitee der UdSSR oder die Organisation von Arbeiten zur Radarentwicklung.

Insofern ist Sorokins Werk keine Malenkov-Biografie im herkömmlichen Sinne. Es genügt zu sagen, dass das Leben des jungen Malenkov vor seinem Eintritt in die Roten Armee (1901–1919) mit lediglich zwei Absätzen beschrieben wird (S. 10–12). Diese zwei Absätze entstanden, weil Sorokin recht aktiv illustrierendes Material verwendet. Dieses macht, wie die Lektüre zeigt, rund 40 bis 50 % des Gesamtvolumens des Buches aus. Es enthält Seiten mit Faksimile verschiedener Dokumente – von Fotografien, Fragebögen und Zertifikaten bis hin zu Notizen, die die Vielfalt an Formen des Dokumentenflusses des Zentralkomitees der KPdSU und anderer Behörden veranschaulichen, mit denen Malenkov verbunden war. Die letzten 20 Jahre im Leben Malenkovs (1968–1988), als er im Ruhestand danach strebte, sich die marxistisch-leninistische Lehre zu erschließen, werden fast ebenso sparsam (aber immerhin auf 12 Seiten) beschrieben. Der Autor des Buches geht über Malenkovs ältere wie jüngere Verwandte hinweg und beschreibt lediglich das Schicksal seiner Frau ausführlich, der berühmten sowjetischen Funktionärin Valerija Golubcova. Sorokin weigert sich, die Erziehung oder mögliche Motive seines Protagonisten darzustellen. Zudem nutzt er die Gelegenheit nicht, um mit Malenkovs jüngeren Verwandten und Nachbarn im angesehenen Moskauer Stadtviertel zu sprechen, in dem Malenkov die letzten acht Jahre seines Lebens verbrachte.

Ein bedeutender Zusammenhang besteht darin, dass sowohl Malenkov als auch Golubcova erbliche Adlige waren. Sie haben die familiären Bindungen vollständig bewahrt und ihre älteren Verwandten lebten bis in die 1960er-Jahre bei ihnen. Allein die Tatsache, dass Malenkov als Adliger 35 Jahre nach der Oktoberrevolution das Oberhaupt des Sowjetstaates werden konnte, wäre ein interessantes Diskussions- und Reflexionsthema. Und für die „neue Linke“ würde die Existenz eines erblichen Adligen als Schlüsselfigur in der Organisation der Massenrepressionen der 1930er-Jahre die schlimmsten Befürchtungen bestätigen, die der Sohn wohlhabender Landpächter, Leo Trotzki, vorhergesagt hatte. Informationen über die Herkunft Malenkovs, die etwa auch auf Wikipedia verfügbar sind, und insbesondere die Tatsache, dass sein Großvater Oberst in der zaristischen Armee, der Bruder seines Großvaters Konteradmiral waren und der Vater Georgij Malenkovs bis zu seinem Tod im Jahr 1907 in der Gouvernementsverwaltung Dienst tat, werden in der Monographie in keiner Weise thematisiert. Gleiches gilt für die finanzielle Situation der Familie, die auch nach dem Tod des „Ernährers“ den Gymnasialbesuch des Sohnes ermöglichte. Auch die Rückkehr Malenkovs zur Orthodoxie und seine recht aktive Teilnahme am kirchlichen Leben während seiner Ruhestandszeit beschreibt der Autor nicht.

Wenn wir über die rein politische Sphäre sprechen, bleibt zudem unklar, ob Malenkov einen eigenen politischen Clan hatte, wie die meisten anderen Mitglieder aus Stalins innerem Zirkel. Sorokin schreibt zwar über das Schicksal von zwei oder drei seiner Assistenten und Nominierten, formuliert aber nicht einmal eine solche Frage. Es wäre aber bedeutend, um die Besonderheiten des politischen Kampfes in der sowjetischen Spitzenbürokratie sowohl zur Zeit Stalins als auch in den folgenden Jahrzehnten zu verstehen.

Sorokin arbeitet hauptsächlich mit Archivbeständen, die sich im RGASPI befinden. Sie spiegeln „Fragebogen“-Informationen über den Protagonisten wider: Diese Quellen zeichnen die erfolgreiche Karriere eines Parteiapparatschiks nach, die in den 1920er-Jahren begann. Nach seinem Studium wechselte er von Abteilung zu Abteilung, vom Zentralapparat der Partei zum Moskauer Gebietskomitee und zurück. Die Dokumente legen auch seine Tätigkeit offen – zunächst als Abteilungsleiter, später Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei und schließlich Mitglied des Politbüros.

Die Stärke und Bedeutung von Sorokins Buch besteht darin, dass er die Umstände der Tätigkeit Malenkovs für jede Phase seiner Karriere detailliert beschreibt. Dies erlaubt es nicht nur, besser zu verstehen, was er in seinen vielen Posten getan hat, sondern bietet auch einen vollständigen Überblick der Vorgänge in dessen Arbeitsfeldern.

Malenkovs Hauptgeschäft in den 1930er-Jahren war die Organisation der Massenrepressionen. Hier war er eine Schlüsselfigur in der Säuberung und Vernichtung von Partei- und Staatskadern. Er führte jedoch nicht nur Stalins Willen aus, sondern bot auch eigene Lösungen an. Insbesondere schlug er Stalin vor, alle Mitglieder der Leitungsgremien religiöser Organisationen zu unterdrücken. Glücklicherweise erschien Stalin ein solcher Vorschlag selbst im Wahnsinn der Jahre 1937 und 1938 übertrieben.

Während des Zweiten Weltkriegs wird aus dem erfahrenen Organisator des Massenterrors ein ebenso „pragmatischer“ wie aktiver Führer in der Militärproduktion. Interessant ist hier die Beschreibung des administrativen Chaos, das Stalins Gefolgschaft in den ersten Kriegsmonaten mit dem Versuch verursachte, das Regierungssystem des Landes unter den neuen Bedingungen zu reorganisieren. Sorokin zeigt, wie Malenkov (und die anderen Mitglieder aus Stalins innerstem Kreis) danach strebten, die spezifischen Aufgaben in der Entwicklung bestimmter Bereiche der Militärproduktion zu erfüllen, und wie erfolgreich sie dabei waren.

In der Nachkriegszeit bestand Malenkovs Fokus, dessen Karriere immer wieder Schwankungen im Zusammenhang mit Stalins wechselhafter Haltung gegenüber seinen Favoriten unterlag, der Kampf gegen die „Leningrader Gruppe“. Ihr Anführer, der Leiter der Staatlichen Planungskommission, Nikolaj Voznesenskij, wurde von Stalin als möglicher Nachfolger in Betracht gezogen. Malenkov und Berija hassten ihn seit den späten 1930er-Jahren dafür, wie Sorokin zeigt. Und lange haben sie Intrigen gesponnen und kompromittierende Beweise gesammelt. Sie waren jedoch, so der Autor, auch schockiert über die Tragweite, die der Fall erlangte, und über Stalins selbst nach damaligen Maßstäben harte Reaktion auf die Verfehlungen der Gruppe.

In den frühen 1950er-Jahren, nach der Vernichtung der „Leningrader“ und dem Rückgang des Vertrauens Stalins in die älteren Mitglieder des Politbüros (damals Präsidium) des Zentralkomitees, trat das Tandem aus Malenkov und Berija in den Vordergrund. Damals war es Malenkov, der alle Hebel der Parteimaschinerie steuert. Gleichzeitig verantwortete er ein Dutzend weiterer großer Themen, darunter auch die Landwirtschaft. Das Scheitern in einem von ihnen hätte ihn das Vertrauen des Diktators kosten können.

Vielleicht erklärt dies seinen hartnäckigen und konsequenten Kampf gegen den „Personenkult“ und viele andere Aspekte des stalinistischen Erbes. Es begann unmittelbar nach dem Tod des Tyrannen mit der Unterstützung Berijas. Letzterer interessierte sich jedoch vor allem für nationale (ethnische) und internationale Themen. Malenkov hingegen pochte auf eine Reform des Partei- und Staatsapparats sowie auf ernsthafte Reformen in der Wirtschaft. Er hat die Weichen im Agrarsektor entscheidend gewendet und die Bauernschaft von überhöhten Steuern befreit. Es gelang ihm auch, Entscheidungen umzusetzen, die den Kurs der Wirtschaft von der vorrangigen Unterstützung der Schwerindustrie und des militärisch-industriellen Sektors zur Entwicklung einer Industrie veränderten, die sich auf die Produktion von Konsumgütern konzentrierte.

Dieser Kurs dauerte nicht lange. Nachdem er seinen Verbündeten Berija verraten und dann alle Verwaltungsposten im Kampf um die Führung an Nikita Chruščev verloren hatte, was letzterem erlaubte, „Slogans abzufangen“ und die Priorität des Kampfes gegen den Personenkult zu entlarven, schied Malenkov aus dem Spiel aus. Interessant ist hier jener Teil des Buches, der dem Jahrzehnt gewidmet ist, das Malenkov im Exil in Kasachstan verbrachte. Dort musste er nach dem gescheiterten Putsch gegen Chruščev als Kraftwerksdirektor dienen. Dies ist sicherlich neues Material, das die Feinheiten der Beziehung zwischen den Führungspersönlichkeiten der Chruščev-Ära offenlegt.

Im Allgemeinen ist das Buch als eine Art Enzyklopädie über die Aktivitäten der Behörden in der Zeit des „entwickelten Stalinismus“ sicherlich von erheblichem Interesse. Es trägt zur Neubewertung des Erbes Chruščevs bei und befördert die Debatte darüber, was für ein „Tauwetter“ hätte folgen können, wenn nicht Nikita Chruščev, sondern Georgij Malenkov das Ruder der Partei und dann des Staates übernommen hätte. Eine klassische Biographie Malenkovs bleibt jedoch Desiderat.

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